1991, Kirchheim

Ausstellung „Ursula Laquay-IHM. Vorwiegend Blau künstlich“ in Kirchheim unter Teck 1991.

 

Gabriele Hoffmann: Einführungsrede, 7.9.1991

Einführung in die Ausstellung von Ursula Laquay-Ihm

„Vorwieg end Blau künstlich“

am 7.9.1991 in Kirchheim



Ich möchte mit einer Anweisung Leonardos an die Künstler für den Umgang mit der Farbe Blau bei Landschaftsdarstellungen beginnen: „Das etwas weiter Weg stehende machst du weniger profiliert und blau. Das Folgende, von dem du willst, daß es noch einmal so weit weg sei, machst du noch einmal so blau, und das, welches du fünf mal so weit entfernt willst aussehen lassen, machst du fünf mal blauer.“ Sicher konnte und sollte der Künstler diese Anweisung nicht wörtlich nehmen; sie zeigt jedoch, daß Leonardo die Luftperspektive, die er in seine wissenschaftlichen Untersuchungen zur Perspektive eingeführt hatte, sehr ernst nahm. Und tatsächlich findet man schon um 1500 in Landschaftshintergründen, etwa bei Joachim Patinir, deutlich ins Blaue und Blaugrüne gehende entfernte Bergzüge, die sich vom Braun und Grün des Vorder- und Mittelgrundes unterscheiden.

Im Mittelalter hatten die Künstler dafür noch keinen Blick gehabt. Die Natur, Steine, Pflanzen, Tiere und der Mensch waren als Geschöpfe Gottes Gegenstand der Verehrung des Schöpfers. Die Farbe Blau galt in der christlichen Kosmologie als Symbol für die Unendlichkeit des Weltenherrschers. Die Kuppeln der Kirchen waren mit blaugrundigen Mosaiken geschmückt, Symbol des himmlischen Jerusalem. Suger, der Abt von Saint Denis, hebt in der emphatischen Beschreibung seiner Klosterkirche die besondere Schönheit der mit kostbaren blauen Saphiren geschmückten Kultgegenstände hervor. Das Gold als Hintergrund biblischer Erzählungen in der Malerei wurde häufig durch Blau ersetzt, das ebenso wie Gold die Allgegenwart Gottes zum Ausdruck brachte. Zu den schönsten Kirchenfenstern in Chartres gehört im südlichen Seitenschiff das blaue Fenster, „la belle verrière“. Die Madonna trägt im Mittelalter und in der Renaissance den blauen Mantel als Zeichen der Reinheit. Blau, die unsinnlichste Farbe, hatte eine anagogische Funktion, sie beförderte die Meditation über die unerklärlichen Glaubenswahrheiten.

In Goethes Farbenlehre heißt es zur Farbe Blau: „Diese Farbe macht für das Auge eine sonderbare und fast unaussprechliche Wirkung. Sie ist als Farbe eine Energie; allein sie steht auf der negativen Seite und ist in ihrer höchsten Reinheit gleichsam ein reizendes Nichts. Es ist etwas Widersprüchliches von Reiz und Ruhe im Anblick.“



Eine besondere Bedeutung hatte das Blau für den Romantiker Novalis, der seinen Romanhelden Heinrich von Ofterdingen von der „blauen Blume“ träumen läßt. Bei Novalis ist Blau die Farbe schmerzlicher Sehnsucht nach emotionaler, geistiger und religiöser Erfüllung. Die Romantiker hatten für den Verlust der Natur als metaphysischer Geborgenheit Erlösung in der subjektiven Empfindung gesucht. Die Natur wird zur Kunstnatur. Baudelaire nennt den Dichter „Herr im Azur“, entrückt in weite Ferne. „Der Himmel ironisch und grausam blau“ , heißt es im Gedicht „Der Schwan“. Mallarmé läßt in seinem Gedicht „Azur“ den Dichter beschließen, den Himmel zu töten, das Blau des Himmels zu verfinstern.

Blau ist in unserer abendländischen Kultur von jeher die Farbe der Ferne und Transparenz, die Farbe der Klarheit und Immaterialität, des Geistes und der Transzendenz. Blau, die kalte Farbe, hatte aber auch den anderen Symbolwert, wie man aus mittelalterlichen Quellen erfahren kann: das geheimnisvoll Dämonische, Erstarrung und Tod. Goethe hat die Ambivalenz der Wirkung dieser Farbe beschrieben. Er umschreibt sie mit Worten wie Beraubung, Schatten, Dunkel, Schwäche, Kälte und Ferne. C. D. Friedrich gibt uns in seinen Bildern die Erfahrung eisiger Erstarrung in bläulichem Weiß.

Die Impressionisten setzen Blau ein als Luft-, Ton- und Schattenfarbe. Van Gogh gibt mit dem Komplementärkontrast Blau-Orange und Blau-Gelb seiner physisch-psychischen Erregung Ausdruck. Und für Cézanne hat das Blau in den „Badenden“ eine konstitutive Bedeutung für den Ausdruck der Sehnsucht nach Erlösung vom Kampf der Geschlechter und vom Zwiespalt zwischen Mensch und Natur.

Die Künstler des „Blauen Reiter“, Kandinsky und Franz Marc, haben eine besondere Vorliebe für Blau bei ihrem Bemühen, die Einengung unserer Erfahrung in der Bindung an Raum und Zeit zu überwinden. Blau ist für Kandinsky eine kalte, in sich ruhende Farbe. „IJe tiefer das Blau wird, desto mehr ruft es den Menschen in das Unendliche“, heißt es in seinem Buch „Über das Geistige in der Kunst“. Yves Klein, der sich sein Ultramarin-Blau patentieren ließ, wollte sich mit seinen monochromen blauen Bildern dem „Geistig-Absoluten“ nähern und einen Raum absoluter Freiheit schaffen.

Ich möchte diesen kurzen Gang durch die Bedeutungsgeschichte der Farbe Blau mit einem Satz aus Hölderlins Hyperion beenden: „Verloren ins weite Blau, blick ich oft hinauf an den Äther und hinein ins heilige Meer, und mir wird , als schlösse sich die Pforte des Unsichtbaren mir auf, und ich verginge mit allem, was um mich ist, bis ein Rauschen im Gesträuche mich aufweckt aus dem seligen Tode und mich wider Willen zurückruft auf die Stelle, wovon ich ausging.“

 

Ein Gang durch die Ausstellung

Man begibt sich in einen Raum, der durch die verschiedenen Blaus der ausgestellten Bilder und Objekte in Bewegung ist. Papierschnipsel auf dem Boden, wie ein Schwarm Vögel, verstärken diesen Eindruck, der den stärkstem Gegensatz bildet zu den Farbräumen von Yves Klein, Mark Rothko und Barnett Newman, die ein unbegrenztes Raumkontinuum erzeugen, das den Betrachter einhüllt.

„Seidenlaubenvogel“

Am Boden vor der Wand stehen Kästen mit ungeordnetem Fundmaterial. Ursula Laquay-Ihm sammelt, pickt aus dem Zivilisationmüll heraus, was blau ist und ahmt damit den Seidenlaubenvogel nach. (Dieser exotische Vogel sammelt alles, was er in seinem Revier an blauen Gegenständen findet, breitet sie vor seinem „Liebesnest“ aus und lockt damit das Weibchen zur Paarung an). In einer Art Schütte an der Wand befindet sich das blaue Meterial auf einer ersten Selektionsstufe. Darüber in Zeichenform der Seidenlaubenvogel, kenntlich an den Federn an den Ecken eines sphärischen Dreiecks. Noch eine Stufe höher, als oberer Abschluß des Objekts, ein Piktogramm für Flug. Die vier Etagen korrespondieren miteinander durch die Farbe Blau, aber auch durch die Zunahme an Ordnung und Abstraktion von unten nach oben.

Stehpult zum Thema Seidenlaubenvogel

Auf dem Pult liegt aufgeschlagen ein Buch, das den Seidenlaubenvogel vor seinem Liebesnest inmitten seiner Beute zeigt. Es weist auf den Beginn des künstlerischen Weges von Ursula Laquay-Ihm, der zu der Installation „Vorwiegend Blau künstlich“ geführt hat. Am Anfang stand die Faszination, die der Vogel mit seiner Tätigkeit auslöste. Das aus einem flachen Holzbrett ausgesägte Pult hat eine asymmetrische Form, die durch den in Falten gelegten Stoff, der sich um eine Kante schmiegt, einen anthropomorphen Charakter bekommt.

Die „Säule“

Die „Säule“ ungefähr in der Raummitte widerspricht in Form und Material unserer Vorstellung von einer Säule . Sie besteht aus Stoffen in verschiedenen Blautönen, die kaskadenartig herabfallen und sich auf dem Boden ausbreiten. Durch den Mangel an Stabilität und Gleichförmigkeit eine Karikatur der idealen, aus einem Monolith gearbeiteten tragenden Säule. Die übereinanderfallenden Stoff widersprechen auch der geordneten harmonischen Gewanddrapierung der griechischen Gewandf iguren, die als Karyatiden das Gebälk tragen . Die blaue Säulenkaskade unter dem tragenden Deckenbalken des Raumes läßt sich als ironische Anspielung auf die „hohe Architektur“ verstehen.

Die Farben Weiß und Blau haben seit Beginn der achtziger Jahre eine erhöhte Bedeutung im Werk der Künstlerin. Bis dahin waren ihre Arbeiten geradezu bunt, enthielten viel Ro,t Gelb und Orange, die besonders energiereichen Farben.

Baumrudimente

Diese Arbeit mit mehreren in einer Reihe an die Wand gelehnten Objekten aus bemaltem Sperrholz und bläulichem Wasser in Einmachflaschen gehört in eine Werkreihe zum Thema Mensch und Technik. Die Baumfragmente in wolkigem Blaugrün, flache Baumschnitte, enden oben in einer organisch anmutenden welligen Kante. Es gibt keine Andeutungen von Ästen und Blättern. Die Glasflaschen, von denen Schläuche ausgehen, enthalten die „Nährlösung“, mit der die vom Menschen zerstörte Natur künstlich am Leben erhalten wird.

Wasser als Reagenz

In zwei Wandkästen sind Reagenzgläser und andere Utensilien aus dem chemischen Labor, dazu zwei Batterien wie zu einer Versuchsanordnung zusammengestellt. Man denkt an einen Baukasten, in dem die Einzelelemente je nach Funktion säuberlich getrennt sind. Die spärlich verwendete blaue Farbe, etwa die bläulich gefärbte Flüssigkeit in den Reagenzgläsern, erscheint hier als Symbol der Reinheit und wissenschaftlichen Exaktheit. Die Kästen spielen auf das trügerische Bild von der absoluten Beherrschbarkeit der Natur an. Blau ist hier die Farbe des Kalküls und der Emotionslosigkeit. Das billige Fundmaterial läßt sich darüber hinaus als Hinweis auf unsere Glück versprechende Überflußgesellschaft interpretieren. Ursula Laquay-Ihm versteht ihre Kunst als unumgängliche Auseinandersetzung mit unserer Welt, wie sie ist. Die Farbe Blau erscheint in dieser Ausstellung als Widerspiegelung der Einheit von analytischem und assoziativem Denken. Die Künstlerin unterwirft die ungeordnet anstürmenden Bildideen einer strengen gedanklichen und künstlerischen Kontrolle. Die gelernte Architektin beweist bei ihren „Kleinen Holzobjekten“ und dem Wandobjekt „Satellit I“ ihr Kunstwollen. Es sind phantasievolle Architekturen, von ihr selbst als Kontrast zu dem oft „stupiden Bauen“ unserer Zeit gesehen, die nicht einer einzigen Idee folgen, sondern dem Prinzip, daß jeder Schritt sich intuitiv aus dem vorhergehenden ergibt. Der Prozeß des Aneinanderfügens ganz unterschiedlicher Bauelemente ist an diesen kleinen Arbeiten gut ablesbar. Bei einigen denkt man an Waldorfschularchitektur.

Drei Bilder

Bei den drei ausgestellten Bildern wird der geistige Ausdruck der Farbe Blau besonders spürbar.

„Flugverbindung“, dieser Titel läßt an einen Fahrplan denken und meint doch etwas ganz anderes. Ein ironischer Titel also. Das Bild hat eine Rautenform, Horizontale und Vertikale gehen durch die Bildecken. Die Malerei, Öl auf Leinwand (Holz mit Stoff überzogen), ist streng symmetrisch angelegt: Untere Hälfte Wasser, obere Hälfte Landschaft mit Bergen und darüber Himmel, zwei Dreiecksformen vertikal übereinander in der Bildmitte. Folgendes mag als Interpretationsangebot verstanden werden: Die Dreiecksform mit der geschwungenen Grundlinie deutet ein Vogelwesen an, das aus dem tiefblauen Meer aufsteigt. Über dem Meeresspiegel verwandelt sich das dreieckige Wesen. Blaue Adern durchziehen die weiße Fläche, so als müsse das Wasser als Lebensgrundlage konserviert mitgeführt werden. Ein rotes Warndreieck (Fundstück vom Fahrrad), auf der Spitze des Dreiecks angebracht, reißt den Betrachter aus seinem vielleicht romantischen Traum von der blauen Ferne.

 

Bei allen in dieser Ausstellung gezeigten Arbeiten ist es jeweils eine Assoziationskette, welche die Syntax der formalen Bezüge festlegt. Diese künstlerische Struktur entspricht der Denkweise von Ursula Laquay-Ihm. Bei dem Thema Mensch-Technik zum Beispiel wird nicht das eine dem anderen gegenüber absolut gesetzt. Es wird vielmehr in metaphorischer Umschreibung den ursächlichen Verknüpfungen nachgegangen.

Dabei gelingen der Künstlerin „Bilder“, die durch keine nachfolgende Analyse einen zusätzlichen Erkenntnisgewinn bringen. Der geordneten Welt im Kasten liegt vielleicht eine konkrete Utopie zugrunde: das Überleben der Natur und des Menschen mit Hilfe einer der Natur des Menschen angemessenen Technik.